Stell Dir vor, Du betrittst einen Raum voller Versicherungsanbieter, und jeder von ihnen hat seine eigene Definition davon, was „pflegebedürftig“ bedeutet. Da fallen Begriffe wir ADL, ATL, Pflegestufen, Pflegegrade und so weiter uns so fort. Natürlich scheint jede Regelung auf den ersten Blick eine Gute zu sein und die Versicherer versuchen Dich davon zu überzeugen, dass es sogar die Beste ist.
Willkommen in der wunderbaren Welt der Pflegeversicherungen! Aber dafür sind wir ja da. Wir bringen Ordnung in das Chaos.
Spoiler: Manche Regelungen erinnern etwas an 6 aus 49 – Lottospielen statt Klarheit
Es gibt grundlegend zwei Wege, wie Versicherer festlegen, wann sie leisten: die ADL-Regelungen (Activities of Daily Living) und die Pflegegrade nach dem Sozialgesetzbuch (SGB XI). Während die einen gerne ihre eigene und manchmal etwas obskure ADL-Checklisten abhaken, verlassen sich die anderen auf das standardisierte, gesetzliche Punktesystem der Pflegegrade. Und manchmal, ja manchmal, gibt es auch die, die beides kombinieren und dem Kunden damit ein ganz kleines bisschen mehr Sicherheit geben – die Kirsche auf der Torte. Hier prüft der Versicherer nach beidem und das bessere Ergebnis gilt (Günstigerprüfung).
ADLs sind die kleinen, täglichen Aufgaben, die wir oft für selbstverständlich halten, wie Essen, Anziehen, Waschen oder die Toilette benutzen. In der Welt der Pflegeversicherungen jedoch sind ADLs eine Art „Checkliste des Grauens“. Wenn Du bei einer (rein) ADL-basierten Versicherung eine Auszahlung willst, musst Du beweisen, dass Du eine bestimmte Anzahl dieser täglichen Aufgaben nicht mehr selbstständig erledigen können. Es klingt ein bisschen wie ein Spiel, nicht wahr? „Schaffen Sie 4 von 6 Aufgaben nicht, und Sie gewinnen eine Auszahlung!“ Aber Vorsicht – jede Versicherung definiert ihre ADLs anders. Vor allem welche ADLs überhaupt relevant sein können unterscheidet sich stark – von 4 bis 9 Punkte ist hier alles bei Versicherern möglich. Als zweites unterscheiden die Versicherer wie viele Punkte hiervon erfüllt sein müssen. Was ist besser? Es müssen 1 von 4 ADL oder 4 von 9 verloren sein? Selbst Versicherungsprofis verlieren hier regelmäßig (zu recht) den Überblick.
Als Hintergrund-Info das generelle ADL System sieht folgende ADLs vor:
Stell Dir vor, Du hast schwere Arthrose in einigen Gelenken und kannst Dich weder anziehen noch Essen zubereiten, aber solange Du noch irgendwie selbst zur die Toilette kommen und essen kannst, könnte es sein, dass Du nicht die notwendigen „ADL-Punkte“ für eine Auszahlung deiner Pflegeversicherung sammelst. ADL-Regelungen sind wie ein Quiz mit besonders hinterlistigen Fragen – es muss immer in dem definierten ADL-Bereich eine massive (!) Einschränkung vorliegen. Geringere Einschränkungen in vielen Bereichen finden keine Berücksichtigung im ADL System und damit gibt’s keine Leistung aus deiner privaten Pflegeversicherung. Das heißt es kann sein, dass Du einen recht hohen Pflegegrad hast aber deine private Versicherung sieht das anders – den sie benutzt Ihre eigene verwirrende Liste und Definition, ab wann man pflegebedürftig ist.
Eine sehr frustrierende Situation wenn man offiziell pflegebedürftig ist aber die Versicherung, die man genau für diesen Fall vor vielen Jahren abgeschlossen hat und regelmäßig die Beiträge bezahlt hat, dann aufgrund von dem Kleingedruckten einfach nicht leistet. Und wer liest schon gerne das Kleingedruckte?
Fairer Hinweis: Manche ADL-Regelungen sind objektiv deutlich besser als andere. Dies analysieren wir im Detail bei bestehenden Verträgen für Dich. Beim Neuabschluss setzen wir auf den anderen Ansatz.
Im Gegensatz zu den ADLs, die oft subjektiv und je nach Versicherung unterschiedlich definiert sind, bieten die Pflegegrade nach dem SGB XI ein standardisiertes und vollkommen transparentes System. Die Pflegegrade basieren auf einem Punktesystem mit maximal 100 Punkten, das aus sechs Modulen besteht, die die verschiedenen Aspekte des täglichen Lebens und der Pflegebedürftigkeit bewerten:
Die Punkte aus diesen Modulen werden summiert, um den Pflegegrad zu bestimmen, der dann wiederum festlegt, auf welche Leistungen Anspruch besteht. Dieses System ist umfassender und berücksichtigt sowohl physische als auch psychische Einschränkungen. Geringe Einschränkungen in unterschiedlichen Bereichen führen hier schon zu einem Pflegegrad – bei ADL würde dies zu keinem Punkt führen und damit zu keiner Leistung. Mit unserem Pflegegrad-Rechner LINK bekommst Du ein gutes Gefühl für dieses System.
Eine der wichtigsten Fragen, wenn es um Pflegeversicherungen geht, ist: Wer entscheidet eigentlich, ob jemand pflegebedürftig ist und wie sehr? Hier gibt es zwischen den ADL-Regelungen und Pflegegraden masssive Unterschiede.
Bei ADL-basierten Versicherungen ist es auf den ersten Blick sehr undurchsichtlich. Hier gibt es oft keine klare Regelung, wer die Pflegebedürftigkeit feststellt. Häufig beauftragen die Versicherungen eigene Gutachter oder externe Dienstleister, was oft zu Diskussionen und Unklarheiten führen kann. Auch hängt die genaue Defition der ADLs von den jeweiligen Versicherungsbedingungen ab und lassen zum Teil Interpretationsspielraum.
Ein potenzielles Streitthema ist hier die Wahl des Gutachters – nicht selten fühlen sich Betroffene benachteiligt, wenn der Gutachter aus Sicht der Versicherung agiert und möglicherweise eine (zumindest gefühlt) restriktivere Einschätzung vornimmt, um die Auszahlung zu minimieren. Die Uneinheitlichkeit der Begutachtungsstandards und die Tatsache, dass es keine verbindliche Regelung wie bei den Pflegegraden gibt, macht das ADL-System in den Augen vieler Experten wenig vertrauenswürdig.
Außerdem spielt das konkrete ADL-System in den Bedingungen eine große Rolle. Hier sind wir wieder bei der Frage – besser ein System das 1 von 4 ADL als Leistungsauslöser definiert oder 4 aus 9? Ein Glücksspiel beim Abschluss sowohl für Dich als Kunden als auch für den Vermittler, der berät – welche ADL-Regelung besser ist hängt ganz also von der konkreten Einschränkung in der Zukunft ab. Und wer weiß das heute schon?
Auch musst Du bei einer ADL-Regelung immer eine komplett separate Begutachtungen machen – du möchtest im Fall der Fälle ja auch Leistungen aus der Pflegepflichtversicherung und diese begutachtet selbst nach dem Pflegegrad und hier werden etwaige ADLs der privaten Versicherer einfach nicht berücksichtigt. Unnötiger Aufwand und Ärger wenn man es gar nicht brauchen kann. Deshalb bevorzugen wir das Pflegegradsystem. Oder möchtest Du im Fall der Fälle, dass regelmäßig zwei unterschiedliche Gutachter vorbeischauen.
Bei der Feststellung der Pflegegrade sind die gesetzlichen Regelungen klar definiert. Die Pflegekasse, meist die Krankenkasse, bei der Du auch krankenversichert bist, beauftragt den Medizinischen Dienst (MD) oder Medicproof um den Pflegebedarf zu ermitteln. Es gibt sogar eine klare gesetzliche Vorgaben, wie schnell diese Begutachtungen stattfinden müssen – innerhalb von 25 Arbeitstagen, um genau zu sein. Das sorgt für eine gewisse Planungssicherheit und Transparenz für die Betroffenen.
Die Gutachter kommen meist persönlich vorbei und beurteilen anhand des klar festgelegten Modulsystems den Unterstützungbedarf und damit die Punkteanzahl aus der sich der Pflegegrad ergibt. So wird sichergestellt, dass die Einschätzungen objektiv und nach einem einheitlichen Standard erfolgen. Eine Anwesenheit von Angehörigen ist explizit gewünscht und die Kriterien klar. Auch sind die juristischen Möglichkeiten um gegen ein subjektiv empfundenes falsches Gutachten sich zu wehren klar – nur als Beispiel sei hier die Möglichkeit der Neu-Begutachtung nach 6 Monaten genannt.
Hier unterscheiden sich die privaten Pflegeversicherungen im Detail, ob sie direkt das Pflegegrad-Gutachten akzeptieren oder zum Beispiel noch Arztunterlagen anfordern.
Demenz ist eine Erkrankung, die besonders gut zeigt, wie unterschiedlich die Ansätze der ADL-Regelungen und Pflegegrade sein können. Während die Pflegegrade nach SGB XI auch Teileinschränkungen und insbesondere kognitive Beeinträchtigung berücksichtigen, neigen ADL-Regelungen dazu, nur „totale“ Verluste einer Fähigkeit zu bewerten. Eine Person mit mittelschwerer Demenz, die noch in der Lage ist, einige grundlegende Aufgaben mit Unterstützung zu erledigen, könnte nach ADL-Regeln als „nicht pflegebedürftig“ gelten. Aber die Pflegegrade erkennen, dass die kognitive Fähigkeit ebenfalls eine Rolle spielt, und stufen die Person entsprechend in einen Pflegegrad ein. Schon die geringen Pflegegrade 1 und 2 können Leistungen der privaten Pflegeversicherung auslösen! Wobei ein starker Fall von Demenz auch einen höheren Pflegegrad als 2 zur Folge haben kann und wird.
Psychische Erkrankungen wie schwere Depressionen oder Angsterkrankungen sind in der Pflegeversicherung oft schwerer zu bewerten. Nach dem ADL-Modell könnte eine Person mit einer schweren Depression, die beispielsweise an vielen Tagen nicht verlassen kann, nicht als pflegebedürftig gelten, solange sie „technisch gesehen“ noch in der Lage ist, sich anzuziehen oder zu essen. Aber nach den Pflegegraden würde diese Person eine eindeutige Einstufung bekommen, da die psychischen Module des Systems die Einschränkungen berücksichtigt. Dies zeigt, wie das ADL-System eine „Alles-oder-Nichts“-Haltung hat, während das Pflegegrad-System feinere Abstufungen zulässt und auch Teilleistungen und psychische Belastungen anerkennt.
Es gibt drei Hauptmodelle auf dem Markt:
Die Wahl der richtigen Pflegeversicherung hängt stark von den individuellen Bedürfnissen und der persönlichen Präferenz ab. Wer eine klare und einfache Regelung bevorzugt, sollte sich für eine Pflegeversicherung nach Pflegegraden entscheiden. Welche Pflegeversicherung genau zu Dir passt, hängt von vielen Faktoren ab und eine Absicherung nach ADL ist besser als keine Pflegeabsicherung! Dein Gesundheitszustand und deine gewünschte Absicherungsausgestaltung sind hier die entschiedensten Faktoren für die richtige Pflegeabsicherung.
Und jetzt? Buch dir einen Termin und wir finden für dich die passende Pflegeversicherung. Gern prüfen wir auch bestehende Verträge, welche Regelung diese enthalten.
Übrigens das alte System der Pflegestufen haben wir hier analysiert (dies gilt gesetzlich nicht mehr seit 2017 – relevant ist es noch für bestehende Verträge und wenige Marktteilnehmer nutzen es immer noch..)